Volksinitiative 2009 – 800 Unterschriften

Das grosse Paradies der Archäologen

MIT EINER MEDIENKONFERENZ IM KESSLERLOCH WURDE AM DIENSTAG, 1. SEPTEMBER, DIE UNTERSCHRIFTENSAMMLUNG FÜR DIE UMZONUNGSINITIATIVE GESTARTET. DIESE ERMÖGLICHT ES, DASS DIE THAYNGER STIMMBÜRGERINNEN UND STIMMBÜRGER SELBER BESTIMMEN KÖNNEN, WIE DIE UMGEBUNG DES KESSLERLOCHS AM SINNVOLLSTEN GENUTZT WERDEN KANN.

Von Andreas Schiendorfer, Verein Wohnqualität Thayngen

121 Mitarbeitende beschäftigte die Thaynger Cementi in ihren besten Tagen um den Jahreswechsel 1961/62. Im Jubiläumsjahr der Gemeinde Thayngen waren es immer noch deren 73. Kann man nun, weitere anderthalb Jahrzehnte später, gegen die Ansiedlung eines Industrieunternehmens sein, das verspricht, auf diesem Areal 15 bis 30 Arbeitsplätze zu schaffen?

Auch gewerbliche Arbeitsplätze wären möglich

Man kann, doch weil sich eine solche Haltung auf den ersten Blick nicht schickt, ist es von besonderer Bedeutung, dass mit Roger Egli (SVP), Inhaber der vor zehn Jahren gegründeten B. + R. Egli GmbH (Erbringung von Transportdienstleistungen und Betrieb eines Baggerunternehmens), ein Unternehmer im Initiativkomitee Einsitz genommen hat. “Eine prosperierende Wirtschaft möchten wir sicherlich alle”, führte Egli an der Medienkonferenz aus. “Betriebe in der Grössenordnung der SwissRec müssen jedoch eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen können. Das Nebeneinander von Wertschöpfung, Lebens- und Wohnqualität muss in jedem Fall gewährleistet sein. Bei der Firma SwissRec ist diese Balance nicht anzutreffen.” Egli verweist auf den Verdrängungswettbewerb in der Recyclingbranche, wo Wachstum durch Übernahmen das Marktgeschehen prägt. Zu Recht wies er darauf hin, dass 30 Arbeitsplätze für ein derart grosses Gebiet nicht die bestmögliche Wertschöpfung darstellen. Der mögliche Wegzug von Steuerzahlern und der Nicht-Zuzug von Steuerzahlern würden wohl zu höheren Verlusten führen, als die SwissRec mittelfristig an neuem Steuervolumen aufzubringen imstande sei.

Tatsächlich sieht die Umzonungsinitiative, wie Aldo Künzli vom Verein Wohnqualität erläuterte, vor, das Gebiet in drei Zonen einzuteilen – eine Archäologiezone, die es ermöglicht, das Kesslerloch zu attraktivieren, eine Zone für öffentliche Bauten, die man mit einem Kinderspielplatz, einer Bocciabahn oder etwas ähnlichem nutzen könnte, und schliesslich eine gemischte Zone für Wohn- und Gewerbebauten. Details werden vom Gemeinderat erarbeitet werden müssen. Denkbar aber ist, dass dank der geplanten Aufwertung des Thaynger Bahnhofs zwei, drei Gewerbeunternehmen nach Thayngen geholt werden können, die mit weniger Platzverbrauch und weniger Emissionen ähnlich viele Arbeitsplätze zur Verfügung stellen können.

Die später von Ueli Kleck (SVP) gestellte Kostenfrage kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beantwortet werden. Tatsache ist, dass der Kanton bereit ist, einen namhaften Beitrag zur Attraktivierung des Kesslerlochs beizusteuern, der ohne Umzonung schwerlich geltend gemacht werden kann, und Tatsache ist, dass eine Wohnzone grundsätzlich wertvoller als Industrieland ist. In einer Gesamtberechnung ist auch zu berücksichtigen, dass im Speckgebiet noch einiges Wohnland bis jetzt nicht genutzt ist und bei einer Ansiedlung der SwissRec praktisch wertlos würde.

Zudem muss davon ausgegangen werden, dass bei einem Betrieb der Recyclinganlage nicht unbeträchtliche Kosten für Unterhalt und allenfalls Umbau und Erweiterung der Verkehrswege auf die Gemeinde zukämen.

Von daher besteht die Hoffnung, dass die Umzonung alles in allem kostenneutral vorgenommen werden kann.

SwissRec verdient einen besseren Standort

Und doch: Kann man gegen die Ansiedlung eines Unternehmens sein, dass in der Recyclingbranche tätig ist? Man kann. Doch weil sich dies auf den ersten Blick nicht schickt, ist es von besonderer Bedeutung, dass mit Kantonsrat und Einwohnerratspräsident Heinz Rether (ÖBS) einer der profiliertesten Thaynger Umweltschützer im Initiativkomitee Einsitz genommen hat. Rether verwies darauf, dass Regierungsrat Reto Dubach tagszuvor bei der Beantwortung seiner Interpellation erklärt hatte, dass die Regierung die Bedeutung des Kesslerlochs unter Umständen höher bewerten könnte als das geplante Schrottwerk, wenn dieses übermässige Auswirkungen auf die Umwelt hätte. Rether weiss, dass man in diesem Fall eindeutig von “übermässigen Auswirkungen” sprechen muss. Und doch strebt er eine Lösung an, die auch von der SwissRec mitgetragen werden kann. “Wir versuchen mit der vorliegenden Volksinitiative noch mehr Klarheit zu schaffen und einen gehbaren Weg vorzuzeichnen, wie alle Beteiligten aus dieser kniffligen Situation möglichst ungeschoren herauskommen könnten”, führte er gegenüber der Presse aus. “Wenn ich alle sage, meine ich auch die Schrottverarbeitungsfirma, die aber einen anderen Standort ins Auge fassen sollte.”

Am jetzigen Standort sind jedenfalls für Heinz Rether keinerlei Kompromisse möglich, denn “das Kesslerloch läuft Gefahr, an Attraktivität zu verlieren, sollte eine lärmintensive Metallschrott-verarbeitungsfirma ihren Sitz auf dem angrenzenden Industrieareal realisieren können.” Im Übrigen wies er darauf hin, dass im Thaynger Einwohnerrat zwei Vorstösse von Paul Zuber (SP) und Lilian Wasem (SP) zu dieser Problematik noch hängig sind.

Die Diskussion drehte sich nachher vor allem um die Lärmfrage. Das Jubiläumsfest des Turnvereins war, wie es scheint, auf dem Chapf fast besser zu hören als in der unmittelbaren Anwohnerschaft. Und Journalist Ueli Flückiger wusste zu berichten, dass er die Band CheLee tatsächlich bis nach Bibern vernommen habe. Dabei stört sich kaum jemand an solch einmaligen Geräuschen, die man ja nicht unbedingt als Lärm bezeichnen kann. Aber während sechs Tagen in der Woche von morgens früh bis abends spät ein gleichsam permanenter giftiger Punktlärm ist eben doch etwas anderes. Es ist kein Zufall, dass die Einwohnerräte, die im Januar auf Einladung des Vereins Wohnqualität Thayngen eine vergleichbar grosse Recyclinganlage in Emmen besuchten, der lärmigen Ansiedlung unisono kritisch gegenüberstehen.

Der Lärm ist das eine, der massive Lastwagenverkehr das andere, die Erschütterungen das dritte und die Gefährdung des Grundwasser das vierte und vielleicht sogar problematischste von allem. Präsident Peter Marti und Vizepräsident Aldo Künzli wiesen nochmals nachhaltig auf diese unlösbaren Schwierigkeiten hin. Nähere Informationen dazu findet man auf der Website www.schrott-beim-kesslerloch.ch. Dort findet man auch Bilder von brennenden Schrottanlagen; es gibt kaum eine, die nicht früher oder später zu brennen und giftige Gase und Abwasser zu entwickeln beginnt.

Die ganze Eiszeit als Erlebnisbereich abdecken

Und da wäre noch das Kesslerloch. Einst das Ziel von Vereinsausflügen und Schulreisen ist es in den letzten Jahrzehnten zunehmend in einen Dornröschenschlaf versunken. Erst mit der Stilllegung des Zementwerks nahmen die Versuche, das Kesslerloch zu beleben, dank Anstrengungen von Reiat Tourismus, Kulturverein und Unteroffiziersverein Reiat wieder zu, umso mehr als Kantonsarchäologe Markus Höneisen als einer der besten Experten der Altsteinzeit diese Bestrebungen tatkräftig unterstützt. Es ist von besonderer Bedeutung, dass mit Fredy Beyeler, Präsident Reiat Tourismus, und Stefan Zanelli, Präsident Kulturverein, die Kesslerlochlobby im Initiativkomitee besonders stark vertreten ist. “Der Erhalt dieses Kulturgutes hat vorrangige Priorität vor der Ansiedlung neuer Industrie”, betonte Zanelli. “Nicht erforscht ist übrigens die zweite, so genannte “Kleine Höhle”, die sich weiter oben nur in einem kleinen Schlot zeigt, der oben verstopft ist. Höhlenforscher haben aber ein Karstsystem gefunden, dessen Boden auf dem Niveau der grossen Höhle sein könnte. Auch diese Höhle gehört zur archäologischen Schutzzone. Die Archäologen gehen davon aus, dass das Tal in seiner ganzen Länge besiedelt worden ist.”

Thayngen hat eine weitere interessante Fundstelle zu bieten, die Pfahlbauten im Weier, die möglicherweise sogar im Weltkulturerbe Aufnahme finden. Zanelli: “Die beiden Siedlungsorte sind knapp einen Kilometer voneinander entfernt und laut Kantonsarchäologe Höneisen hat Thayngen damit die einmalige Chance, die ganze Steinzeit abzudecken und daraus mit etwas Phantasie einen Erlebnisbereich von grosser Bedeutung zu schaffen.”

Nur Schreibtisch-Kulturförderer können die irrige Ansicht vertreten, die Attraktivierung des Kesslerlochs lasse sich mit der Ansiedlung der SwissRec – Krach, Verkehr, Erschütterungen – in Einklang zu bringen. Zanelli appellierte an die Verantwortung des Kantons als Landbesitzer: “Er ist verantwortlich für die Zukunft und die Erhaltung dieses einmaligen und bedeutenden Kulturraums.”

An der PK waren anwesend:

Initianten: Roger Egli, Aldo Künzli, Heinz Rether, Stefan Zanelli Unterstützungskomitee: Barbara Jud, Regula Hübscher, Peter Marti, Andreas Schiendorfer, Paul Zuber. Medien: Schaffhauser Nachrichten, Heimatblatt; Radio Munot, Schaffhauser Fernsehen  Gäste: u.a. Ueli Kleck