Das Interesse an der heimischen Archäologie ist gross. Dies wurde am Samstag an der Eröffnung des Steinzeitpfades deutlich. Unter den Gästen sichtete man nicht nur Regierungsrat Martin Kessler, sondern auch einen Eiszeitjäger sowie zwei echte Rentiere.

Andreas Schiendorfer

THAYNGEN Mit einer Überraschung wartete Regierungsrat Martin Kessler zur Eröffnung des Steinzeitpfades in der Hugligrundscheune des Thaynger Gemeinderats Rainer Stamm auf. Archäologische Insider konnten zwar schmunzelnd nachvollziehen, dass der Kanton Schaffhausen steinreich ist – attraktiv in den Augen eines Steinzeitmenschen.

Doch die korrekte Deutung des im Konstanzer Rosgartenmuseum im Exil weidenden Rentiers aus dem Kesslerloch hat sich noch nicht herumgesprochen. «Jedes Schaffhauser Schulkind lernt wohl das ‹weidende Rentier› kennen», erklärte Kessler. «Aber Achtung: Das männliche Rentier ist nicht am Weiden, sondern bereit zum Kampf gegen einen Rivalen im Wettstreit um ein Weibchen. Der steinzeitliche Künstler hat seine Umwelt genau beobachtet und treffsicher zu Papier, oder eben: ‹zu Geweih› gebracht.»

Als Kind habe er auf den Äckern in Trasadingen oft versteinerte Stacheln von Seeigeln aufgelesen oder Teufelsfinger, also die Vorläufer der heutigen Tintenfische, erzählte der Vorsteher des Baudepartementes und damit auch der Kantonsarchäologie beim Apéro gut gelaunt. Und wegen seines Namens sei er mit seinem Vater wohl öfters im Kesslerloch gewesen als der Durchschnittsschaffhauser.

Seine Affinität zur Steinzeit hatte Gemeindepräsident Philippe Brühlmann bereits anlässlich seiner Pfahlbauerferien im Sommer 2017 bewiesen. Nun schuf er für das Kesslerlochareal ein bemerkenswertes Rentierkunstwerk. Zudem ermöglichte er es Reiat Tourismus unter der Leitung von Robert Spichiger, in einem ersten Schritt wenigstens einen Teil des einstigen Moorsiedlungsareals zu pachten und unter den nötigen Schutz zu stellen. Brühlmann und Spichiger waren es denn auch, die den schon länger herumliegenden Stein ins Rollen brachten und die Kantonsarchäologie zur Realisierung des Steinzeitpfades motivierten.

Das Herzstück des Pfades sind für Kantonsarchäologin Katharina Schäppi, die mit ihrem Team zahlreiche Originalfundstücke präsentierte, 13 Tafeln an neun verschiedenen Standorten. Für die beiden geologischen Tafeln im Kurzloch und im Langloch zeichnete Iwan Stössel, Co-Präsident der Naturforschenden Gesellschaft, verantwortlich, für die archäologischen Inhalte Franziska Pfenninger, die von Vorarbeiten des in den Ruhestand übergetretenen Kantonsarchäologen Markus Höneisen profitieren konnte.

Die Kantonsarchäologin zeigte sich ebenfalls für eine Überraschung gut: Was müsse man tun, wenn man wissen wollte, welches Klima am Ende der Eiszeit in unserer Region herrschte? Katharina Schäppi: «Das Handy zur Hand nehmen und die Wetterprognose für den Säntis studieren.»

Erst nach einer natürlichen Klimaerwärmung siedelten sich im Weier vor 5000 Jahren die ersten Thaynger an. Die Rentierjäger hingegen zogen ihrer Beute nach und verschwanden in den kühleren Norden. Am Samstag kam nun Rentierjäger André Schnellmann zuerst beim Hugligrund vorbei, um sich danach in der Station Vordere Eichen auf die Lauer zu legen. Die Rentiere aber waren von Salome Fürst und Dominik Brüllmann gewarnt und zur Station Untere Bsetzi geführt worden. Dort wurden die attraktiven Besucher aus Dachsen allerdings doch entdeckt, so etwa von einer Gruppe Thaynger Pfadis, die zuvor beim Pfahlbauerhaus bei Rainer Stamm gelernt hatten, Steinzeitbrötchen zu backen.

Zweitartikel:

Das Kesslerloch wird wieder zum Ziel von Schulreisen
Vom Munot zum Kohlfirst, vom Rheinfall bis zur Rheinau, zu den Randentürmen sowie durch den Klettgau zum Hallauerberg und zur Stadt Neunkirch lauten vier von 60 Vorschlägen für die schönsten Schulreisen, Vereinsausflüge und Familienwanderungen in der Ostschweiz, vorgestellt im Buch «Von der Höll’ ins Paradies» (1995). Das Kesslerloch in Thayngen, welches 50 Jahre zuvor eine Art nationales Archäologieheiligtum war, fehlte. Das ändert sich dank dem Steinzeitpfad. Davon ist Urs Leuzinger von der Kantonsarchäologie Thurgau überzeugt, nicht zuletzt dank der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr. «Man steigt in Zürich in den Zug und gelangt praktisch direkt zum Kesslerloch. Von hier aus führt eine attraktive und informative Wanderung nach Schaffhausen-Schweizersbild.» Vielleicht könne man den Lehrern Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellen oder gar eine Kiste mit nachgemachten Steinzeitartefakten, ergänzte
sein St. Galler Berufskollege Martin Schindler, für den auch Führungen durch gut ausbildete Steinzeitmenschen denkbar wären. «Doch das kann die Kantonsarchäologie nicht leisten. Nun sind die Thaynger gefordert.» (schi)