Gestern Abend stellten Regierungspräsident Martin Kessler und die Kantonsarchäologin Katharina Schaeppi die Pläne für die Attraktivierung des Kesslerlochs vor. Das sieht sehr viel versprechend aus. Der Vorstand des Vereins Wohnqualität Thayngen wird zu gegebener Zeit, das heisst bei Vorliegen des Quartierplans, prüfen, ob die Anliegen hinsichtlich Wohnqualität gebührend berücksichtigt werden konnten. Mit einem gewissen Erstaunen musste man die herablassende Bemerkung des abtretenden Gemeindepräsidenten vernehmen, der die berechtigten Bedenken des VWT gegenüber dem von der Gemeinde unkritisch entgegengenommenen Ansiedlungsprojekt offenbar nur als lästig empfunden hat. Im Sinne eines kleinen Nachhilfeunterrichts sei deshalb festgestellt: Ohne das schnelle Handeln des VWT hätten wir jetzt einen unschönen Schrottsalat und alle Pläne zur Attraktivierung des Kesslerlochs wären unmöglich geworden respektive sinnlos gewesen. Nun aber hat der VWT nach 12 Jahren ein erstes positives Zeichen vernommen.
Nachfolgend die Berichterstattung in den “Schaffhauser Nachrichten” vom 4. September 2020. 200904 SN Kesslerloch
Ein Steinzeitpark beim Kesslerloch
Das Kesslerloch in Thayngen ist beeindruckend, das Gelände rund um die national bedeutsame steinzeitliche Höhle hingegen weniger. Dies soll sich nun ändern: Jetzt soll dort eine moderne Anlage entstehen. Damit soll auch ein jahrelanger Nutzungskonflikt beigelegt werden.
Zeno Geisseler
Die Moderne hat die Altsteinzeit eingeklemmt: Das Kesslerloch in Thayngen liegt nur wenige Meter neben der Bahnlinie nach Deutschland und wenige Meter neben einem Industrieareal. In den Medien taucht das Kesslerloch praktisch nur noch als Ortsangabe auf, in Polizeimeldungen, wenn es auf der nahen Nationalstrasse wieder einmal einen Unfall gab.
Dabei handelt es sich um einen historischen Ort von nationaler, ja, europäischer Bedeutung. 4000 Jahre lang lebten Menschen hier. Sie hinterliessen einzigartige Fundstücke, darunter schönste Kunstobjekte, aber auch Unmengen von Knochen, Speisereste, Waffen aus Knochen und Tausende Steinobjekte aus hartem, scharfem Silex.
Nun sollen das Kesslerloch und seine Umgebung aufgewertet werden. Nach Süden hin, zur DB-Bahnlinie, gibt es dafür keinen Spielraum. Doch in Richtung Norden hat es Platz. Dort soll nun ein Park entstehen, mit Feuerstellen, einem Bächlein, Sitzelementen und sogar einer Arena als Unterrichtsort für Schulklassen.
Gestern haben die Verantwortlichen beim Kanton das Projekt vorgestellt. «Seit 2009 steht die Attraktivierung des Kesslerlochs im Legislaturprogramm», sagte Baudirektor Martin Kessler (FDP) an einer Medienkonferenz. «Jetzt muss etwas gehen.» Diverse Projekte seien zuvor verworfen worden, gleich zwei Quartierpläne konnten nicht genehmigt werden.
Doch damit soll es nun vorbei sein. Und: Endlich soll auch einer freundlichen Empfehlung aus Bern nachgekommen werden, das Gelände doch bitte aufzuwerten.
Ursprünglich erhaltene Felswand
Im Grundsatz geht es darum, eine Annäherung an den Urzustand zu erreichen. Früher lag das Kesslerloch am Ausgang eines kleinen Seitentals, dieses Seitental ist aber vor allem durch den Kalksteinabbau der «Zimänti» kaum mehr zu erkennen. Als einziges Element des Seitentals ist die Felswand verblieben, in der auch das Kesslerloch liegt.
Das Gebiet bei der Felswand sei noch ursprüngliches Terrain, sagte Kantonsarchäologin Katharina Schäppi gestern. «Im Untergrund gibt es Schichten mit altsteinzeitlichen Funden von Silex und Knochen.» Dort gibt es auch einen viel weniger bekannten weiteren Fundort altsteinzeitlicher Objekte, die sogenannte «Neue Höhle» weiter nordwestlich.
Entlang dieser Felswand, siehe auch die Illustration oben, soll nun der Park entstehen. Dazu werden neuzeitliche Aufschüttungen wieder abgetragen. Zur Abgrenzung zur Industriezone hin wird bei einem Industriegleis ein Erdwall aufgeschüttet. Dieser Wall wird mit Bäumen und Büschen bepflanzt, der Rest des Areals wird spärlich bewachsen sein. «Es soll der Eindruck einer endeiszeitlichen Landschaft entstehen», sagte Schäppi.
Das Land, auf dem der Park geplant ist, gehört heute noch drei Eigentümern: dem Kanton, er besitzt vor allem das Stück unmittelbar vor dem Kesslerloch, der Gemeinde Thayngen (entlang der Felswand) und der Besitzerin des angrenzenden Industriegeländes, die Firma Swiss Immo Rec. Künftig wird der Kanton aber alleiniger Eigentümer sein, Thayngen und Swiss Immo Rec werden also ihre Landabteile abtreten.
Für Swiss Immo Rec hat das Projekt noch weitere Folgen: In einem neuen Quartierplan wird eine Schutzzone abgebildet sein, das nutzbare Industrieareal wird reduziert. Eine weitere Rahmenbedingung: ein Verzicht auf Lärm- und erschütterungsintensive Arbeiten.
«Der Eigentümer musste Federn lassen», sagte Schäppi. «Dafür», ergänzte Baudirektor Kessler, «sind jetzt zehn Jahre Ungewissheit vorbei. Es gibt jetzt klare Rahmenbedingungen, und die Firma weiss, was erlaubt ist und was nicht.»
Kosten wird das Projekt den Kanton 1,4 Millionen Franken, verteilt auf drei Jahre. Mit dem Budget 2021 muss der Kantonsrat seine Einwilligung geben. Wenn alles gut läuft, soll der Park dann 2023 eingeweiht werden. Dies ist ein Jahr mit einer besonderen Bedeutung: Dann ist es genau 150 Jahre her, seit es beim Kesslerloch die ersten Ausgrabungen gab. Gestern Abend ist die Thaynger Bevölkerung über das Projekt informiert worden.
«Grosse Chance für Thayngen», aber mit welchen Nebenwirkungen?
Isabel Hempen
Rund 70 Thayngerinnen und Thaynger lockte die Informationsveranstaltung zur Aufwertung des Kesslerlochs in den Reckensaal. Das Projekt, das bereits vor 15 Jahren in Angriff genommen wurde, habe viel Staub aufgewirbelt, meinte Gemeindepräsident Philippe Brühlmann. Für die Gemeinde sei das zum Teil «sehr unerfreulich» gewesen, und die Lösungsfindung habe viele Herausforderungen mit sich gebracht. Darunter zwei Volksentscheide, wie Brühlmann in einer Retrospektive beginnend ab dem Jahr 2006 aufzeigte, in dem die Neunutzung des Areals erstmals angegangen wurde. Und doch sei nun ein Erfolg erzielt worden, «unter Inkaufnahme von Reduktionen und Kompromissen», so der Gemeindepräsident. So sei mit den aktuellen Plänen die Nutzung des Geländes als Industrieareal weiterhin möglich, wie dies der Volksentscheid fordere.
Die lokale Bevölkerung erhalte einen Mehrwert, während das Kesslerloch überregionale Ausstrahlung erlange. Es werde geschützt und aufgewertet, dabei würden die Anliegen diverser Interessengruppen befriedigt, und die Aufwertung sei eine ausgewogene Lösung für alle und das «Ende der Leidenszeit». Die reduzierte industrielle Nutzung schaffe Wertschöpfung, einen Erholungsraum für die Bevölkerung und schliesslich: eine «grosse Chance für Thayngen».
Brühlmann stellte daraufhin den geplanten Beitrag der Gemeinde an das kantonale Projekt vor. Thayngen würde finanziell für die Erschliessung des Kesslerlochs aufkommen, wobei mehrere Varianten angedacht sind: verschiedene Optionen von Langsamverkehrsrouten für Fussgänger und Velofahrer südlich oder nördlich der Bahngleise, um die Besuchenden zum Kesslerloch zu leiten; die Erstellung von Parkplätzen auf gemeindeeigenem Land; und als teure, aber «beste und nachhaltigste Lösung» eine Unterführung direkt zum Kesslerloch hin.
Die Reaktionen aus dem Publikum fielen gemischt aus. So fand das Projekt zwar durchaus Anklang; bemängelt wurde aber etwa, dass jene Parteien, die in einem früheren Stadium Einsprache erhoben hatten, bei der aktuellen Planung nicht ins Boot geholt worden seien.
Aldo Künzli, Vizepräsident des Vereins Wohnqualität Thayngen, bedauerte ebenfalls, dass man nicht in die Erarbeitung des Quartierplans involviert worden sei; der Verein werde diesen eingehend studieren. Er und andere Einwohner sahen Probleme mit der Verkehrs- und der Lärmbelastung im Wohngebiet, unter denen Thayngen zunehmend leidet.
Theo Lenhard, ehemaliger Direktor der Thaynger «Zimänti», sprach sich für die Aufwertung aus und sorgte unerwartet für Heiterkeit, als er meinte, dass sich die Firma seinerzeit im «zweiten Loch» (der «Neuen Höhle») noch des Alteisens entledigt habe.