Ein wenig ausgestorbener als anderswo

Denkt man an die Tiere der Eiszeit, so kommen einem unwillkürlich das Mammut und das Wollnashorn in den Sinn. Frühe Spuren von ihnen hat man auch im Kesslerloch gefunden.

Andreas Schiendorfer

Ausgestorbene Tiere üben eine enorme Faszination auf uns aus, denken wir nur an die verschiedenen Saurier vor Jahrmillionen. Auch das 2005 aufgegangene Mammutmuseum in Niederweningen erfreut sich grösster Beliebtheit. Doch: Die ersten Knochen und Stosszähne von Mammuts wurden dort erst 1890 – 16 Jahre nach der Ausgrabung in Thayngen – beim Bau der Wehntalbahn entdeckt. Der Kanton Schaffhausen darf als eine klassische Region des Mammuts beziehungsweise, wissenschaftlich ausgedrückt, des Wollhaarmammuts (Mammuthus primigenius) bezeichnet werden. «Mammuts hat man bei uns so ziemlich überall gefunden, wo es Kies gibt und dieser auch abgebaut wurde. Gefunden wurden meist Backenzähne oder Fragmente von Stosszähnen», erklärt dazu Kantonsarchäologe Markus Höneisen. «Wir kennen aus dem Klettgau Funde von Beringen, Wilchingen, Hallau und Trasadingen; aus dem Fulachtal von Herblingen und Thayngen.» Das Wollhaarmammut, eine ausgestorbene Gattung der Elefanten, entsprach bezüglich Grösse und Gewicht ungefähr dem heutigen Elefanten. Andere Mammutarten konnten aber deutlich grösser werden. Lange hatte man angenommen, das Mammut sei vor etwa 12 000 Jahren ausgestorben, neu weiss man nun aber, dass eine Zwergform auf der nordsibirischen Wrangelinsel bis vor 4000 Jahren zu überleben vermochte. Im Jahr 2008 gelang es sensationell, rund 70 Prozent der Erbinformation des Wollhaarmammuts zu entschlüsseln.

Das Kesslerloch macht den Anfang

Die Funde vom Kesslerloch sind aus nationaler Sicht besonders interessant, da neben Zähnen auch Knochen vorliegen, unter anderem von Jungtieren und Föten. Zudem gibt es Stosszahnfragmente mit Bearbeitungsspuren. Hauptsächlich wurden daraus Geschossspitzen und Schmuckanhänger hergestellt. Auch gibt es Indizien der Nutzung als Brennmaterial. Die Mammuts waren für die Steinzeitmenschen also weit mehr als nur eine Nahrungsquelle. Und der Kantonsarchäologe betont nochmals: «Das Kesslerloch steht natürlich – wie immer – am Anfang. Erst damals wurde man ja in der Region so richtig sensibilisiert auf derart alte Funde.» Im Jahr 1874 soll Konrad Merk bei seiner Grabung im Kesslerloch den Stosszahn eines Mammuts von 1,35 Meter Länge und einem Gewicht von 19 Kilogramm gefunden haben. Da er stark verwittert war, zerfiel er bei der Bergung in mehrere Teile. Merks Funde wurden von einem der damals renommiertesten Wissenschaftler, dem Basler Paläontologen Ludwig Rütimeyer, untersucht. Rütimeyers Begeisterung führte im Grabungsbericht zu einer aus heutiger Sicht amüsanten Steigerung und Wortschöpfung: «Noch ausgestorbener [sind] das Mammuth und das sogenannte sibirische Nashorn.»

Der Mammutjäger ist entdeckt

Auch Jakob Nüesch stiess 1899 bei seiner Kesslerlochgrabung auf Mammutknochen. In seinem Grabungsbericht stellte er unmissverständlich klar, wieso diese Funde von einmaliger Bedeutung waren – und für immer bleiben: «Das Kesslerloch hat den untrüglichen Beweis für die Gleichzeitigkeit der Existenz des Menschen mit dem Mammut und dem Rhinoceros erbracht; der Mammutjäger der Schweiz ist entdeckt.» Weil nur ein Bruchteil der mutmasslichen Kesslerlochknochen ausgegraben und ausgewertet worden ist, muss man mit Grössenangaben vorsichtig sein. Mit Bestimmtheit kann man aber sagen, dass das Mammut in allen Fundschichten vorkommt und von seiner Bedeutung her betrachtet für die damaligen Menschen gleich hinter den Rentieren, den Wildpferden und den Schneehasen an vierter Stelle liegt. Hannes Napierala konnte in seiner 2008 publizierten Nachuntersuchung der Kesslerloch- Fauna insgesamt 214 Mammut- Fragmente mit einem Totalgewicht von 15,2 Kilogramm bestimmen.

Rarität: Thaynger Wollnashorn

Das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis) hat deutlich weniger Spuren als das Mammut hinterlassen, weshalb man auch nicht allzu viel über diese mit dem heutigen Sumatra-Nashorn verwandte Tierart weiss. Das Wollnashorn lebte etwa ab 550 000 v. Chr. in den eiszeitlichen Kältesteppen Europas und im nördlichen Asien. Auch in unserer Region weisen Funde, die 1893 in den Kalktuffen von Flurlingen gemacht wurden, bis in die Zwischeneiszeit zurück. Vom Kesslerloch sind ebenfalls zehn Funde mit einem Gewicht von knapp zwei Kilogramm bekannt, darunter ein Oberschenkelknochen (Femur), der alleine fast ein Kilogramm wiegt. Eine Untersuchung im Jahr 2002 hat für einen «Fingerknochen» (Phalangen) aus dem Kesslerloch ein hohes Alter von rund 15 660 v. Chr. ergeben; dies bestätigt die Resultate der Sondiergrabungen von 1980, welche den Beginn der Kesslerlochnutzung deutlich früher ansetzen, als man zu Zeiten der alten Thaynger Ortsgeschichte von Johannes Winzeler geglaubt hatte. Auffallend ist, dass keine der Kesslerlochfunde aus den jüngeren Fundschichten stammen. Dies könnte darauf hindeuten, dass das Wollnashorn zur Zeit der jüngeren Belegungen des Kesslerloch in unserer Gegend bereits nicht mehr vorhanden war. Glücklicherweise lagern im Boden rund um das Kesslerloch noch genügend ungestörte, allerdings erschütterungsempfindliche Schichten,welche es unseren Nachfahren dereinst erlauben werden, diese und andere Fragen rund um die Eiszeitfauna zu beantworten.
Zum Abschluss unserer Serie werden wir uns dem Wildpferd und dem weidenden Rentier widmen. Bereits erschienen: «In Thayngen auf den Hund gekommen» (25. August); «Dem Thaynger Löwen auf der Spur» (1. September); «Der Fachwelt Thaynger Bären aufgebunden» (8. September).