Einzigartig über die Grenzen hinaus

Neben der Pfahlbausiedlung Weier und dem Kesslerloch besitzt auch die Thaynger Pfarrkirche als Zeugnis einer vorreformatorischen Fluchtburg eine
internationale Bedeutung. Allerdings sind noch viele Fragen offen. Eine erste Spurensicherung.
Andreas Schiendorfer
Die Ereignisse rund um den Thaynger Sturm von 1499 sind nicht völlig unbekannt und beispielsweise in der Ortsgeschichte von Johannes Winzeler ausführlich geschildert worden. Aber erst Peter Jezler, der bedeutende, in unserer Region wohnhafte Kunsthistoriker, hat letzte Woche in seinem Vortrag über den Kirchenbauboom in der Spätgotik die überregionale Bedeutung unserer katholisch-reformierten Pfarrkirche aus den Jahren 1498 bis 1502 klar herausgeschält.

Frömmigkeit führt zu Bauboom

Jezler hat herausgefunden, dass zwischen 1470 und 1524 jede zweite der Zürcher Landkirchgemeinden eine neue Dorfkirche errichtet hat, und nimmt man wesentliche Umbauten hinzu, so steigt deren Zahl sogar auf über 80. In fast allen Fällen war es wie zumeist bäuerliche Dorfbevölkerung, welche den Patronatsherrn und die Kirche zu dieser Grossinvestition gedrängt hat. Da sie dabei keineswegs immer offene Türen einrannten, gibt es heute zahlreiche Gerichtsakten, die Einblick in die damaligen Verhältnisse geben. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der Reformationssturm nicht über einen längeren Zeitraum zusammenbraute, sondern gewissermassen wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam, und alles andere denn eine Revolution von unten darstellte. Die Bauern wollten zunächst ihre Glaubens- und Lebenssituation mit der (katholischen) Kirche verbessern und nicht im Aufstand gegen sie. In Bezug auf den Kanton Schaffhausen stellte der spannende Vortrag, gehalten im Rahmen der 30-teiligen Reihe «Kunstgeschichte der Schweiz», gewissermassen einen Werkstattbericht dar, denn bei uns ist die «vorreformatorische Frömmigkeit» nur unzureichend erforscht, auch wenn etwa die Arbeiten von Reinhard Frauenfelder (1901–1983) interessante Aspekte enthalten.

Gut dokumentierte Geschichte

Warum aber nimmt Thayngen neben der Hallauer Wallfahrtskirche diesbezüglich eine überragende Stellung ein? Sie stellt, so Peter Jezler, das nach aktuellem Erkenntnisstand beste Zeugnis einer vorreformatorischen Kirche mit Fluchtburgfunktion im deutschen Sprachraum dar. Einerseits findet man noch heute im Kirchturm eine offensichtliche Schiessscharte mit vergrössertem Schussradius (siehe Foto), anderseits gibt es keine andere kirchliche Fluchtburg, die in zeitgenössischen Quellen derart breit und zuverlässig dokumentiert ist. Die Schilderung des Thaynger Sturms des Diebold Schilling, nicht zuletzt die Szene, in der ein Vater mit seinem Kind aus dem brennenden Kirchturm springt (siehe Kasten), ist absolut glaubwürdig, weil die Geschehnisse von der Gegenseite, beispielsweise Götz von Berlichingen, praktisch identisch erzählt werden.

Wer kann helfen?

Doch vorerst sind mehr neue Fragen aufgetaucht, als alte beantwortet wurden. So ist im 1914 erschienenen Werk «Die Kirchen des Kantons Schaffhausen» von einer farbigen Scheibe mit der Jahrzahl 1498 – als Beweis für den damaligen Neubau – die Rede. Ist diese, vom Autor unbemerkt, noch vorhanden? Zudem heisst es: «Rund um die Kirche herum muss sich (…) ein ziemlich hoher und dicker, mit Schiessscharten und Wehrgang wohl versehener Mauerring gezogen haben», dessen letzte Überreste offenbar 1905 abgetragen worden sind. Wer mehr darüber oder über die frühe Baugeschichte der Thaynger Kirche weiss, ist gebeten, sich an Peter Jezler oder Andreas Schiendorfer zu wenden. Herzlichen Dank!

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