Glück im Unglück hatte die Altdorfer Bevölkerung beim Bombenabwurf vom 28. Februar 1945. Nur drei Häuser wurden nicht in Mitleidenschaft gezogen, doch ernsthaft verletzt wurde niemand.
Andreas Schiendorfer
«Eine friedliche Abendstimmung lagert über unserem Dorfe, und das beschlossene Tagewerk hat einer stillen Einkehr Platz gemacht», schrieb Johann Mezger 1945 im jährlichen «Gemeinde-Gruss» der Kirchgemeinde Opfertshofen. Es habe sich bei der Bevölkerung «eine etwas sorglosere Gewöhnung an die Überfliegung unseres Luftraumes eingeschlichen». Niemand habe sich deshalb etwas daraus gemacht, als kurz nach halb neun Uhr ein einzelnes Flugzeug über Altdorf hinweggeflogen und bei der Sottenegg umgekehrt sei. «Schon über dem Oberholz eröffnet das Ungetüm das schreckliche, ohrenbetäubende Feuer seiner Bordwaffen unbarmherzig auf das wehrlose stille Dorf, und inmitten dieses Kugelregens fallen schon zwei Bomben hart hinter dem Zollhaus. Unwillkürlich, wie von magischer Faust gezwungen, wirft man sich zu Boden, währenddem Fenster, Dachziegel, Erdklumpen und Steine in wildem Durcheinander über unsern Köpfen hinwegsausen. (…) In sehr kurzer Zeit schon steht die erst kürzlich erstellte neue Scheune des Jakob Bolli-Fuchs in Flammen, sie ist durch die Geschosse der Bordwaffen in Brand geraten. (…) Arg mitgenommen ist das Haus des Albert und Georg Hakios zum Zoll; hier haben die abgeworfenen Sprengbomben ihre verheerende Wirkung vollbracht.»
Flüchtlinge und Kriegskinder
Christian Meier erinnert sich als 84-Jähriger noch gut an die Bombardierung. Seine Familie bewohnte damals den Egghof auf der Sottenegg. Nachdem der zweimotorige Flieger direkt über ihn hinweggeflogen war, konnte er die Bombardierung genau beobachten. «Nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn die Bomben vor statt hinter dem Haus niedergegangen wären. Im Zollhaus befanden sich nämlich einige Flüchtlinge aus Osteuropa. Sie waren kurz zuvor nach ihrem illegalen Grenzübertritt bei uns im Egghof verköstigt worden. Und vor dem Zollhaus standen wegen ihnen etliche Schaulustige. » Vielleicht auch einige Franzosenkinder. «In Opfertshofen und Altdorf sind nach Neujahr wieder einige Kriegskinder untergebracht worden, diesmal Elsässer aus Mülhausen. Sie sollen einen dreimonatigen Aufenthalt bei uns haben. Leider aber sind sie auch in unserer Gegend nicht ganz den Gefahren des Krieges entronnen», so der «Gemeinde-Gruss».
Der Pfarrer im Strassengraben
Pfarrer Werner Maurer (1913– 2002), im Februar 1940 im Pfarrhaus Opfertshofen eingezogen, schildert 1995 in einem Aufsatz nochmals die damaligen Ereignisse: «Schnee hat es keinen mehr. Der Vollmond scheint hell am Himmel und erleuchtet die Gegend mit seinem dämmrigen Licht. Da naht von Nordosten her ein Flugzeug. Es kreist über Altdorf. Ich sollte es eigentlich sehen im hellen Mondlicht. Aber es gelingt mir nicht, es wahrzunehmen. Doch genau über dem Dorf lässt es ein rotes Licht herabfallen. Und im nächsten Augenblick fängt es an, das Dorf mit Maschinengewehr zu beschiessen. BRRRRRRR, so tönt es, und ich sehe, wie im ganzen Dorf die Geschosse einschlagen. Wahrscheinlich sind sie am Boden noch explodiert, denn ich sehe immer, wo sie auftreffen. Im gleichen Augenblick löscht das Licht der Strassenbeleuchtung aus. Es ist wohl eine Leitung getroffen worden. Wir hatten ja Weisung, die Dörfer hell zu beleuchten, damit man sie als Schweizer Gebiet erkenne. Auf einmal dreht sich das Rohr des Geschützes im Flugzeug herum gegen die Egg, wo ich auf der Strasse stehe. Blitzschnell kommen die Einschläge der Schüsse mir näher den Hügel hinan. Ich werfe mich in den Strassengraben, um Deckung zu haben. Ganz niedrig fliegt die Flugmaschine über mich hinweg und hört endlich zu schiessen auf. In einem Bogen fliegt sie über das Bibertal, während ich stöhnend aufstehe und mich zu sammeln versuche. Aber schon ist sie wieder da und die Beschiessung des Dorfs beginnt von neuem. Und nun werden gar zwei Bomben abgeworfen, mitten ins Dorf. (…) Etwa um elf Uhr bin ich über die Egg nach Hause zurückgekehrt. An der Hand führe ich das Vreneli, ein Töchterlein aus einem Haus, das nicht mehr bewohnbar ist. Die Kinder der zahlreichen Familie sind an verschiedene Familien verteilt worden. (…) Am Morgen des 1. März führt mich mein erster Ausgang nach Altdorf. Wie sieht es da aus! Die Dächer der Häuser sind alle durchlöchert. Ziegel liegen überall herum. Schutt und Schmutz erfüllt die Strassen. Die Fensterscheiben sind alle geborsten, und die hölzernen Rahmen hängen zerfetzt herab. Die Leute stehen herum und beschauen die Schäden. Es sei niemand ums Leben gekommen. ‹Wir haben mitten im Unglück eine Bewahrung erlebt›. Einzig drei Häuser des Dorfes sind unbeschädigt geblieben. Eine Frau, die am Spültisch stand und gerade abwaschen wollte, drehte sich gerade um, um einen Milchtopf vom Tisch zu nehmen. Da kracht es, und ein Geschoss zertrümmert den Schüttstein, aber ihr ist nichts geschehen. Ein kleines Kind ist in einem Wohnhaus durch den Luftdruck aus seinem Bettchen geschleudert worden. Aber es ist ihm nichts geschehen.»
Was die Zeitung berichtete
Verletzungen unseres Luftraums. Der Bombenabwurf bei Altdorf.
Amtlich wird mitgeteilt: In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1945 wurden zwischen 19.58 und 2.20 Uhr der südliche Tessin, das nördliche und westliche Grenzgebiet sowie teilweise das Mittelland von einzelnen und Gruppen fremder Flugzeuge nicht festgestellter Nationalität überflogen. Fliegeralarm wurde in den gefährdeten Gebieten ausgelöst. Im Verlaufe dieser Überfliegungen wurden beim Zollhaus Altdorf (nördlich Schaffhausen) zwei Bomben abgeworfen. Dabei gerieten ein Bauernhaus und eine Scheune in Brand. Ein Mann wurde verletzt. («Schaffhauser Intelligenzblatt » vom 2. März 1945)